LINDA DENKERT

Mary Bauermeister wurde 1934 in Frankfurt a.M. geboren und hat seitdem an unterschiedlichsten Orten gelebt, gewirkt und ihre Spuren hinterlassen. Eine Zeitspanne, die wohl auch vor Allem ihre Lebenseinstellung in den Fokus rückt, war bestimmt, als die damals Mitte 20-jährige in der Lintgasse 28 in Köln eine kleine Dachgeschosswohnung mietete. Dies war der Beginn des berühmten „Atelier Bauermeister“, welches bald Treffpunkt für viele gegen den Strom denkende und schaffende Künstler:innen wie Joseph Beuys, Nam June Paik oder John Cage wurde und im großen Maße auch die spätere Fluxus-Bewegung beeinflussen sollte.

In den späten 1960er Jahren reiste Bauermeister erstmals nach New York, feierte dort schnell künstlerische Erfolge und knüpfte Kontakte mit der internationalen Kunstszene.
Auf eine ereignisreiche und turbulente Zeit folgte in den 1970ern der Rückzug nach Deutschland. Sie begann sich mit Grenzwissenschaften wie Geomantie auseinanderzusetzen, eine alte Wissenschaft, die laut Definition, die Geheimnisse der Natur entschlüsselt und den Menschen in Einklang mit jener und sich selbst bringt. Ihre hieraus gewonnenen Erkenntnisse sollten ihr späteres Leben und Werk stark beeinflussen.

Bald darauf bezog sie ein Haus mit großem Grundstück in Rösrath bei Köln, welches schnell zu einer Art Open-Air-Atelier wurde. Sie begann sich mehr und mehr mit Landschafts- und Gartengestaltung zu beschäftigen und erreichte damit auch ein ganz neues diverses Publikum.

Bauermeister gilt nach wie vor als Wegbereiterin der Fluxus-Bewegung, bei der die Bedeutung der fertigen Werke oft zweitrangig ist und der Fokus im künstlerischen Prozess und der Selbsterfahrung liegt. Diese Art von besonderer Wahrnehmung spiegelt sich nun auch stark in ihren gärtnerischen Gestaltungen wieder. Die präzise Ausführung – beispielsweise die spiralförmigen Anordnungen von Steinen – beschreibt die Künstlerin als meditativen Zustand, wo sie sich bestmöglich fokussieren kann und alles um sich herum vergisst. Ein zentrales Thema, mit welchem sich die Künstlerin seit Beginn ihres Schaffens beschäftigt, ist das Licht. Dessen Bedeutsamkeit zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Lebenswerk und taucht an verschiedensten Stellen immer wieder auf. Sei es bei der Präsentation ihrer berühmten „Flickentücher“, die auch stark mit der Zufallsästhetik einhergehen, oder eben mit ihren Arbeiten, die aus der Natur heraus entstehen. Angeknüpft an die Geomantie haben auch Kristalle für Bauermeister eine zentrale Bedeutung. Sie gelten nicht nur als „Energiezentren“, oft im Mittelpunkt ihrer spiralförmigen Anordnungen, sondern reflektieren und bündeln Licht auf verschiedenste und unvorhersehbare Weise.

Einher geht die Arbeit mit und in der Natur auch mit dem Thema der Zeit. Zeit und Zeit nehmen. Die Vergänglichkeit der Natur und die Ruhe, die aus der Langsamkeit und bewussten Ausführung bestimmter Aktivitäten entsteht. Für Bauermeister war der Rückzug aufs Land gleichzeitig ein Ankommen. Ein „Zur-Ruhe-Kommen“. Sie konnte ihre Aufmerksamkeit und Zeit ganz den Dingen, die sie faszinierten widmen.
„Einen Knoten aus Licht und Erde knüpfen und diesen in die Zeit einbinden.“ So in etwa betitelte die Künstlerin ihr Plakat zur Ausstellung „Licht und Erde“ von 1987. Technik dafür nutzen, sich jenseitigem anzunähern. So sei sie der Natur nahe und trotzdem der Wissenschaft dahinter nicht fern.

 

Bauermeister appelliert dafür sich im heute eher hektischen Leben Zeit zu nehmen und hofft, dass sie Besucher:innen vielleicht auch unbewusst darauf aufmerksam machen kann, ohne sich dabei belehrend oder gesellschaftskritisch zu verhalten. Denn ihre Gärten laden zum verweilen ein. Es gibt überall etwas zu entdecken. Dingen, denen man Zeit und Aufmerksamkeit widmen kann ohne dass man vielleicht einen tieferen Sinn dahinter verstehen muss. Denn im Zusammenspiel mit der Natur, liegt dieser „Sinn“ in der Einfachheit und Natürlichkeit. Steine, die sich auf natürliche Art und Weise abnutzen – wie sonst lässt sich Zeit authentischer veranschaulichen? Verwendet werden Materialien nicht ihrer Schönheit wegen, sondern auf Grund ihrer Geschichte. Das macht ihre Kunst gleichzeitig intim und doch öffentlich.

So sind auch die sizilianischen Flickentücher zum Kunstwerk geworden. Weil sie eine Geschichte haben, die berührt. Egal ob Betrachter:innen sie kennen oder nicht. Sie ist spürbar. Und genau dieses Gefühl vom Verspürbaren ist es, was Bauermeister in Betrachter:innen auslösen möchte. Die Zufallsästhetik, die nicht vorhersehbar sein kann. Denn solange man sich Zeit nimmt, können alle Dinge etwas auslösen und dann muss man vielleicht irgendwann auch gar nicht mehr zwischen Natur, Kultur und Kunst differenzieren. Letztendlich ist das Kunstwerk nur ein Erleichterungsmittel, um etwas natürlichen Ursprungs erleben zu können. So können durch Mary Bauermeister an jedem beliebigen Ort intime Sphären entstehen.

Die Ausstellung MARY BAUERMEISTER – Kunst von Anderen ist noch bis zum 24.7.2022 zu sehen. Sie zeigt Werke aus der Sammlung von Mary Bauermeister und Objekte und Werke von ihr selbst.